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Emigranten
Das Prager Kammertheater war zu Besuch im Hamburger Schauspielhaus. Obwohl die Mehrheit der Zuschauer des Tschechischen mächtig war, lieferte die Produktion die deutsche Übersetzung mit. Und zwar auf eine besondere ungewohnte, eigenwillige Art und Weise. Ein Mitarbeiter saß vor einem Overheadprojektor und schob die Folien mit der kopierten Buchfassung des deutschen Textes von Stück „Emigranten“ in liebevoller Handarbeit Stück für Stück über die kahle Betonwand des Malersaals. Bei langen gestrichenen Passagen wies sein Zeigefinger geschwind auf die entscheidenden Stellen im Text.
Diese minimalistischen „Übertitel“ passten gut zur konzentrierten Inszenierung des hochinteressanten Stückes, dessen Handlung sich derweil zwischen zwei Betten, einem Tisch und einem Plattenspieler in der Mitte der ansonsten leeren Bühne abspielte. Zwei sehr unterschiedliche Männer treffen in einem billigen Kellerabsteige aufeinander. Außer ihrer Nationalität und ihrem Emigrantenstatus haben sie nichts gemeinsam. Der eine ist ausschließlich zum Geldverdienen ins Ausland gegangen. An dem Land, in dem er isch befindet interessiert ihn nichts. Er weigert sich die Sprache zu lernen, absolviert mehrer Jobs gleichzeitig und hortet sein Geld geizig, um bald zu seiner Familie zurückkehren zu können. Ganz anders der zweite Mann. Er floh ins Ausland, um seinem Geist endlich die Freiheit zu geben nach er sich schon immer sehnte. Er arbeitet gerade soviel, um sich sein Zimmer leisten zu können und widmet sich ansonsten seinen Studien. Sein Zimmergenosse wird zu einem seiner Studienobjekte, das er beobachtet und zugleich aufklären möchte. Er verachtet seine Unwissenheit und doch scheint ein Hauch von Neid in der Betrachtung seiner Naivität mit zu schwingen. Dieser hat wenigstens ein Zuhause, er dagegen muss sich seines erst neu erschaffen.
Eine kleine intensive und spannende Kammerproduktion aus Prag.
Birgit Schmalmack vom 12.12.06