Die Katze auf dem heißen Blechdach
Das Leben als Lottospiel
Die Galerie der großen, protzigen Südstaatenvilla windet sich mit zwei abschüssigen Bahnen und einer Treppe ins Erdgeschoss. Eine vortreffliche Kullerstrecke für die überdimensionalen Lottokugeln, mit denen ihre Bewohner um ihr Geld und Glück spielen. Die meisten von ihnen unterliegen nämlich dem Irrtum, dass beides eigentlich das gleiche sei.
Maggie (Judith Hofmann) in ihrem eng anliegenden Raubtiermusterkleid fühlt sich wie eine „Katze auf dem heißen Blechdach“. Sie umschmeichelt ihren Mann Brick (Alexander Simon) um ihre Ehe noch zu retten. Das damit verbundene Erbe, das beim Tod ihres reichen Schwiegervaters in Aussicht steht, mag ein zusätzlicher Antrieb ihres Kampfes sein. Doch ihr Ehemann hängt nur noch mit einer Whiskeyflasche in der Hand auf dem Sessel. Stoisch den Alkohol in sich hineinschüttend, bis endlich der Klick kommt, der in seinem Kopf die gewünschte Ruhe einkehren lässt. Die hat er verloren, als sein bester Freund ihm in einem nächtlichen Telefonat vor Jahren gestand, dass er ihn mit Maggie betrogen hat. Seitdem ist ihm das Leben zu einer sinnlosen Angelegenheit geworden. Das zu erwartende Erbe seines reichen Vaters interessiert ihn nicht. Selbst das Theater, das sein älterer Vorzeige-Bruder Gooper (Werner Wölbern) mit seiner fruchtbaren Frau Mae (Natali Seelig) und seinen fünf Kindern mit Luftballons, Zwergenmützen und Liedchen zu Ehren des Großvaters inszeniert, rüttelt ihn nicht aus seiner Lethargie. Er braucht das Geld, um das die junge Großfamilie buhlt, nicht mehr.
Big Daddy verachtet Gooper und liebt Brick genau dafür. Dessen Unabhängigkeit von materiellen Dingen imponiert dem Neureichen, der angesichts des Todes erkennen muss, dass man das ewige Leben nicht kaufen kann. Ihm, der in Armut aufwuchs, war die materielle Absicherung immer das Wichtigste im Leben. Erfolgreich hat sie ihn zwar gemacht, aber nicht glücklich.
Alice Zandwijk hat mit ihrer dritten Inszenierung am Thalia Theater eine bunte, ideenreiche und comichaft anmutende Umsetzung des Filmklassikers vorgelegt. Die Dekoration war ganz den Erkennungszeichen des amerikanischen Kitsches unterstellt. Bonbonfarbene Rüschenkleider, Betonföhnfrisuren, grelle grün-lila Beleuchtung bestimmen neben viel Kinderspielzeug das Ambiente in der Eingangshalle der Südstaatenvilla. Geschmack und Stilsicherheit sind hier Fehlanzeige.
Der kurzfristig für Thomas Schmauser eingesprungene Alexander Simon interpretiert die Rolle von Brick sehr souverän. Jörg Pose spielt den übergroßen Vater mit einer so distanzierten Ironie in der Stimme, dass Big Daddy mit seinem übermäßig ausgestopften Bauch eher zu einer Behauptung als zu einem Charakter wird. Sandra Flubacher wird ihrer Rolle als Big Mama in jeder Hinsicht gerecht: zuerst als unterwürfige Ehefrau so wie später als auftrumpfende Witwe.
Zandwijk lässt in ihrer Inszenierung kaum einen Moment der Konzentration zu. Sobald ein Gespräch ab und zu Tiefgang erreicht, ertönen die süßlichen musikalischen Kommentare des Keyboard spielenden, schwarzen Dienstmädchens (Julia Renner) mit ihren amerikanischen Schmusesongs. Zandwijk mutet den Zuschauern genau die Anstrengungen zu, an der auch die Menschen auf der Bühne scheitern: die schwierige Unterscheidung von dekorativen Nebensächlichen und wichtigen Hauptsachen. Sie erhaschen wie sie nur kurz die Fäden der wahrhaftigen Kommunikation um sie gleich wieder zu verlieren, weil ein neues oberflächliches Spielchen zur Ablenkung ansteht. So vermittelt die Regisseurin zwar ein authentisches Lebensgefühl, droht aber auch in die Falle ihres Regiekonzeptes zu geraten. Ein kurzweiliger, unterhaltsamer, interessanter, aber auch oberflächlich bleibender Abend, den das Premierenpublikum mit viel Applaus bedachte.
Birgit Schmalmack vom 13.11.06
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